Mittwoch, 26. August 2015

Der Tod des kleinen Kritikasten

Ach, es ist ein Jammer! Er hätte einmal ein ganz Großer werden können, Literat, Literaturkritiker oder gar Olympiaschwimmer – wäre ihm meine Tochter nicht begegnet. 
Man kann sagen, sie hat ihn entdeckt, und sie war auch sein Untergang. Oh, welche Grausamkeit der Jugend! Dabei war er gerade so vollkommen in seinem Element, umgeben von feinstem Buchstabenmaterial, eifrig bestrebt, zu neuen, unbekannten Ufern zu gelangen. Worte waren seine ganze Welt, sein Milieu und letztendlich auch sein Ruin. So gesehen war er im Grunde genommen eine verlorene Literatenseele wie wir alle – eben mit dem Unterschied, dass meine Tochter seinen Untergang noch ein wenig beschleunigt hat...

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(C) Leilah Lilienruh

Samstag, 22. August 2015

„C’est normale!“

Umgang mit Fremden in Not: eine Frage der Menschlichkeit

Manchmal ist mir, als würde ich diese schmale, nasse Straße im Halbdunkel des späten, winterlichen Sonnenaufgangs noch ganz deutlich vor mir sehen. Mir scheint, ich könnte das von den Reifen aufspritzende Wasser noch hören, die kühle Morgenluft, die durch die Scheiben kroch, noch riechen und schmecken.
Mag sein, dass mir die Erinnerung einen Streich spielt, aber es ist meine Realität, so wie sie sich mir seit jenem Morgen vor über zwanzig Jahren eingebrannt hat. Man hört immer wieder, dass bedrohliche Ereignisse das Zeitgefühl außer Kraft setzen, quasi zeitlupenhaft ablaufen. In diesem Fall jedenfalls trifft dies in ausgeprägter Form zu.
Es war kurz vor sechs Uhr. Wir waren die ganze Nacht durchgefahren und näherten uns im alten Familienauto auf dieser französischen Departementstraße dem kleinen Ort Belfort. Absolut nichts verband uns mit dem Provinzstädtchen. Es war nicht mehr als ein winziger Punkt auf unserer zerflätterten Straßenkarte, durch den wir eine Linie gen Westen gemalt hatten. Wir wollten einfach nur zum Atlantik, und Belfort lag eben auf dem Weg.
Wie herrlich ruhig die Straßen um diese Uhrzeit noch waren! Nichts fürchteten wir auf unseren Frankreichtouren so sehr, wie zwischen die chaotisch herumflitzenden Peugeots, Renaults und Citroëns zugeraten, an denen unzählige Dellen völlig unrepariert und schamlos von beneidenswert entspannter Lebenseinstellung zeugten.
Unsere beiden Kleinen schliefen schnaufend in ihren Kindersitzen auf der Rückbank, während wir vorn gegen die Müdigkeit ankämpften und immer häufiger ein Gähnen unterdrückten. Die schmale, kurvenreiche Straße verlangte mir im Dämmerlicht einiges an Konzentration ab.
Der Motor unseres voll gepackten Uralt-Kombis brummte erfreulich gleichmäßig, was er in letzter Zeit nicht immer tat.

„Da vorn halten wir kurz an und vertreten uns die Füße", beschlossen wir leise. Nach der Rast wollte er das Steuer übernehmen. Ich war die ganze Nacht über gefahren und brauchte dringend eine Pause. Wir hatten bereits einen Parkplatz im Visier, der nach einer kurzen, sanften Gefällestrecke folgen sollte. 
Dann ging alles blitzschnell: Gas- und Kupplungspedal klappten fast gleichzeitig unter meinen Füßen nach unten weg. Plötzlich ein beißender Geruch, und in der nächsten Sekunde stieg schon dichter schwarzer Qualm aus der Motorhaube auf. Ich zog das Lenkrad nach rechts und trat instinktiv auf die Bremse.
Als wir auf dem Seitenstreifen zum Stehen kamen, züngeln bereits die ersten Flammen hervor. Für einen Moment starrten wir ungläubig durch die Scheibe auf das Feuer. Und obwohl wir beide die Situation technisch weder richtig begreifen noch einschätzen konnten und wider jede Vernunft glauben wollten, dass es „schon nicht so schlimm“ werden würde, war da dieser Impuls in mir, der mich schreien ließ: „Sofort raus hier!“ Er verharrte noch einen Augenblick wie paralysiert, bevor er ebenfalls hastig den Wagen verließ.
Wortlos rissen wir die hinteren Türen auf, um die noch immer schlafenden Kinder, ein und drei Jahre alt, herauszuholen. Meine Hände zitterten wie verrückt. Der komplizierte Sicherheitsgurt vom Babysitz, der auch sonst immer klemmte, ging diesmal einfach nicht auf. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Flammen links von mir über die Windschutzscheibe krochen, immer näher kamen und höher schossen. Mit eiskalten, schweißnassen Fingern hantierte ich an der Gurtkonstruktion herum, während das erwachte Baby jetzt vor Schreck schrie und strampelte, was die Sache nicht gerade einfacher machte. Endlich gelang es, ich drückte den Kleinen an mich und wir rannten mit den Kindern auf den Armen panisch in verschiedene Richtungen davon.
„Nur weg hier, das Ding wird explodieren!“, war alles, was wir noch denken konnten. Schließlich kannte man das ja aus Filmen so. Wenige Augenblicke später fanden wir uns zwanzig Meter weiter auf der anderen Straßenseite wieder - jeder mit einem kreischenden Kind, hemdsärmlig, schlotternd, geschockt. Der vordere Bereich des Wagens brannte schon lichterloh. „Verdammt, das Gepäck, die Papiere, der Buggy“, stammelte ich vor mich hin: „Und meine ganzen Manuskripte!“ Ich hatte jede Menge neuer Texte dabei, auf einer alten Schreibmaschine getippt, Originale, nirgends als Kopie gesichert. Die Arbeit von Monaten.
„Ich muss noch mal ans Auto!“, entschied ich und war im Begriff, meinem Mann das Baby zu geben und loszurennen. Er starrte mich entgeistert an. „Auf keinen Fall! Scheiß auf das ganze Zeug!“ entfuhr es ihm. Im nächsten Moment schlugen die Flammen weit übers Autodach, ergriffen den Innenraum, die Kindersitze…
Nun standen wir also im Morgengrauen über 550 Kilometer von Zuhause entfernt im Ausland auf einer Landstraße und mussten hilflos zuschauen, wie unser Auto samt Inhalt abfackelte. Man mag sagen: „Zum Glück ist ja keinem etwas zugestoßen“, aber ein Gefühl der Freude und Dankbarkeit stellt sich verständlicherweise in solch einem Moment nicht akut ein. Obwohl der Nieselregen sich verstärkte und wir klatschnass waren, brannte der Wagen völlig nieder. Ein Reifen nach dem anderen knallte und sackte zusammen.
So weit, so schlecht. Bitter, aber bedauerlicherweise völlig alltäglich. Solche Dinge geschehen eben. Was dann geschah, war dagegen absolut ungewöhnlich und hat meinen Umgang mit anderen Menschen, mit Menschen in Not, insbesondere mit Fremden, nachhaltig geprägt: JEDER der vorbei kam, Dutzende von französischen Autofahrern und -fahrerinnen stoppten sofort ihre Fahrzeuge auf dem Randstreifen und mitten auf der Straße, nicht um blöde zu gaffen, sondern um uns zu helfen. Viele sprangen aus ihren Autos und rannten ohne zu zögern zu dem brennenden Wrack, aus dem immer wieder Stichflammen schossen, um zu schauen, ob gegebenenfalls noch jemand oder etwas aus dem flammenden Inferno zu retten wäre.
Ich musste plötzlich daran denken, wie es mir ergangen war, als ich ein paar Jahre vorher mal auf dem Heimweg von der Oberschule einen Motorradunfall auf einer schmierigen Dieselspur, verloren von Bundeswehrfahrzeugen, hatte und verletzt auf dem Asphalt lag. Nicht ein einziger Autofahrer hatte angehalten, um Hilfe zu leisten oder die abschüssige Serpentinenkurve zu sichern, damit ich nicht auch noch überfahren würde. Sie waren einfach alle glotzend in einem kleinen Bogen um die Unfallstelle drumherum gefahren und hatten mich eingeklemmt unter der Maschine mit dem glühendheißen Krümmer auf dem Bein liegenlassen. Mutmaßlich lauter deutsche Mitbürger.

Bald standen wir jedenfalls inmitten einer kleinen Gruppe von Franzosen, die aufgeregt beratschlagten, was denn nun zu tun sei. Man machte sich Sorgen um uns, vor allem auch um die Kinder. Vor Schreck brachte ich kaum noch ein Wort heraus, lernte aber, was Feuerlöscher auf französisch heißt und dass es doch besser sei, immer einen im Auto zu haben.
Die meisten von diesen Leuten waren auf dem Weg zur Arbeit, einige kamen auch gerade von der Nachtschicht, waren jedenfalls selbst hundemüde und froren, hätten etwas Besseres zu tun gehabt, als sich um sechs Uhr in der Früh mit "gestrandeten" Ausländern herumzuplagen.
Mag gab uns aber nicht das Gefühl, lästig zu sein, ließ uns im wahrsten Sinne des Wortes „nicht im Regen stehen“.
Da war einfach nur diese liebenswerte Mischung aus Empathie und wuseligem Pragmatismus. Dabei waren wir doch Fremde und dazu noch Deutsche. Mir fielen all die Klischees von der Erzfeindschaft der Deutschen und Franzosen ein. Ich konnte bloß keine Feinde entdecken, sondern lauter liebe, hilfsbereite Leute, die mir in einem schlimmen Augenblick so etwas wie Geborgenheit schenkten und mich davor bewahrten, innerlich zu kollabieren.

Ich erinnere mich zum Beispiel an jenen liebenswerten, schnauzbärtigen Schichtarbeiter, der vor dem brennenden Wagen anhielt, händeringend auf uns zurannte, mir seine Lederjacke umhängte und uns tatkräftig beistand, bis die ganze Familie endlich erschöpft in einem Hotelfoyer aufs Sofa sank.
Ja, und da war die reizende Madame Wilbret, die nicht nur losbrauste, um Polizei und Feuerwehr zu alarmieren, sondern auch später zu besagtem Hotel kam und uns Unglücksraben aus Deutschland – für sie völlig fremde, rußverschmierte Menschen ohne Papiere - einfach so mit zu sich nach Hause nahm in ihre schöne Villa. Dort ließ sie uns nicht nur heiß duschen und bereitete uns ein üppiges Frühstück, sondern fand auch tröstende Worte und passende Kleidungsstücke, die sie uns schenkte. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass wir uns wieder einigermaßen gefangen hatten, begleitete sie uns auch noch zum Bürgermeisteramt, wo wir einige Formalitäten erledigen mussten. Die wunderbare, feine Madame Wilbret verabschiedete sich mit einer innigen Umarmung und der Einladung, doch bald einmal wiederzukommen.

Selbst dort auf dem Amt, wo man eigentlich nüchterne Verwaltungsatmosphäre und nervigen Papierkram erwarten würde, schlug uns sofort eine Welle der Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit entgegen. Das ganze Bürgermeisteramt lief zusammen und war behilflich. Wir hatten schließlich nicht einmal mehr Ausweise. Alles war mit unseren Jacken und dem Gepäck im Auto verbrannt. Unsere legale Einreise ohne Papiere über die Grenze nach Deutschland musste geregelt werden. Dazu waren viele Telefonate aber nicht die Anwesenheit von Mutter und Kleinkindern vonnöten.
Und so geschah, was auf deutschen Behörden wohl so nicht geschehen würde: Man besann sich völlig unkompliziert blitzschnell aufs Wesentliche und nach einer kurzen Beratung war schon die erste Hilfsaktion im Gange: Ortsgendarm Venot chauffierte die Kinder und mich gemeinsam mit einer jungen Verwaltungsangestellten zum örtlichen Kinderhort, um den Erzieherinnen und den Müttern, die soeben ihre Kinder dort ablieferten, unsere missliche Lage mit dramatischem Gestus zu schildern. Man sah sie aufgeregt und wild gestikulierend in alle Richtungen davonsausen. Bald darauf eilte eine ganze Schar von Frauen mit Plastiktüten voller Kinderkleidung, Windeln und Keksen herbei. „Die Leute hier reißen sich für uns ein Bein aus“, stellte ich beschämt fest. Ich spürte, wie gut all die mitfühlenden Umarmungen taten, so manche tröstende Hand auf der Schulter, aufmunterndes Lächeln, aufbauende Worte, nützliche Angebote. Mit einem Kloß im Hals bedankte ich mich im Namen meiner Familie bei jedem.

„Mais, c’est normale!“, entgegnete eine junge Kindergärtnerin verwundert und machte ein Gläschen Brei für unser Baby warm. Normal? Ihre schlichte Feststellung traf mich zutiefst. Wie würden wohl Deutsche reagieren, wenn einem ausländischen Besucher das Gleiche passierte? Ich wünschte mir in dem Moment inbrünstig: ganz genauso. Und wusste, dass das nicht stimmt.  
Der Bürgermeister erlaubte seiner Mitarbeiterin und Gendarm Venot uns mit dem Dienstwagen die rund fünfzig Kilometer zur Grenze zurückzufahren, allerdings nicht ohne uns vorher noch auf Amtskosten zu einem sehr anständigen Mittagessen im Wirtshaus eingeladen zu haben. „Das ist sehr schade, aber kommt doch trotzdem bald mal wieder hier her“, sagte der Polizist, als wir aus der Stadt hinausfuhren und an unserem verkohlten Wrack vorbeikamen. Der Geruch der verbrannten Reifen hatte sich über das gesamte Städtchen gelegt. Eigentlich hätten wir für die Entsorgung des Autowracks aufkommen müssen, aber das Thema hatte der Bürgermeister schon beim Mittagessen mit einer lässigen Handbewegung vom Tisch gefegt: "Sie hatten schon genug Kummer hier bei uns!".                                

Wie nennt man das, was uns als Fremden in dem kleinen französischen Ort gegeben wurde? Gelebte deutsch-französische Freundschaft, Herzenswärme oder einfach ganz normale Mitmenschlichkeit?

(C) Leilah Lilienruh

Mittwoch, 19. August 2015

"Erkaltet" - Vertonte Version des Gedichtes

Zur Zeit mal wieder verstärkt im Tonstudio aktiv. Dabei entstand auch die Aufnahme dieses experimentellen Textes, der Teil des Projektes "Grabgesang" ist.

Gedicht "Erkaltet", Komposition und Sprecherin: Leilah Lilienruh
Tonstudio: Atelier Wortquelle


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Ich freue mich natürlich auch sehr über Besucher und Feedback auf meiner Facebook-Seite sowie auf der Homepage.

Samstag, 15. August 2015

Eine Kindheit unter Landeklappen

Wirtschaftliche Effizienz, Parteiraison, Infrastruktur, Konjunktur, Expansion… welche höchstwichtigen, wohlklingenden Begrifflichkeiten höchstwichtiger Persönlichkeiten öffentlichen Lebens – was für hirnrissige Nebensächlichkeiten für ein Kind in der Einflugschneise eines großen Flughafens.

Meine Kindheit oder das, was der Flughafen davon übrig gelassen hat, fand in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren nahe der Offenbacher „Rosenhöhe“ statt. Schlichte, gepflegte Ein- und Zweifamilienhäuser präsentierten sich mit Blumenrabatten in den Vorgärten und frisch gestrichenen Metallzäunen. Hinter jedem Haus zeugte ein großzügiger Obst- und Gemüsegarten vom Fleiß und Geschick der Eigentümer. Man kannte sich untereinander, war sich auch gern einmal behilflich und sprach nicht ohne Stolz von „meinem Haus und Garten“.
Eine kleine Vorstadtsiedlung, wie man sie sich netter und beschaulicher kaum vorstellen kann… wären da nicht diese gigantischen, stählernen Kolosse gewesen, die sich mit ohrenbetäubendem Lärm über unseren Köpfen herabsenkten, um alsbald auf dem Frankfurter Flughafen zu landen...



Sonntag, 9. August 2015

Knuddel-Furien

Habt Ihr auch eine zwanghafte Drückerin im Bekannten- oder Verwandtenkreis, so eine „Hmm– Drück- Schmatz- Knuddel – Schmuse“ – Furie, die jeden, bevor er an ihr vorbei darf, erst einmal ordentlich feste an die (meist außerordentlich voluminöse) Brust quetschen und herzen muss? 
Baaaahhhh, grrrrrr!!! Wie ich das hasse! Das hat doch mit Herzlichkeit nichts mehr zu tun. Das ist der Gipfel frech-ignoranter Distanzlosigkeit. Heimtückisch als Sympathie getarnte Gewalttätigkeit. Löst ähnliche Gefühle in mir aus wie ein aufdringlicher, liebestoller Rüde, der meint, sich mit meinem Knie vergnügen zu müssen.
Noch ehe man einen Schritt zurückspringen oder ausrufen kann „Neiiiin, ich will das nicht!“, haben diese Damen einen gepackt, im Kreis herumgewirbelt und abgeküsst. Zum Glück bin ich recht groß und verschwinde nicht auch noch mit dem Gesicht zwischen solchen Brüsten.
Und denkste, die lassen einen freiwillig wieder los?! Gegenwehr zwecklos. Selbst das Durchdrücken der Arme bei gleichzeitigem Abstützen an ihren Schultern bringt nix. Geschickt wie ein Ringer winden die sich und schwupps… klebst Du wieder an ihnen dran. Ganz besonders schrecklich wird’s dann, wenn sie sich mit ihren Knubbelfingern auch noch an deinem Gesicht zu schaffen machen. Gut, dass man nur erahnen aber nicht selber sehen kann, wie man ausschaut, wenn sie einem die Wangen mit beiden Händen so zusammenpressen, dass man unwillkürlich ein Fischmaul macht. Selbst, wenn man dann noch Worte hervorbringen kann, klingen sie irgendwie… naja…“blubb“.

Eine Verwandte meines Mannes ist auch „eine von denen“, ich würde sogar sagen, eine von der schlimmsten Sorte. Die nimmt nicht einmal Rücksicht darauf, ob du gerade etwas Sperriges trägst. Meine Wenigkeit, eine riesige Schwarzwälder-Kirsch-Torte auf beiden Händen vor sich her balancierend, auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier: „Hmm, komm, Mädel, wir müssen erst mal richtig knuddeln!“ Müssen wir? Wie, knuddeln??? Haaalt, diese Torte ist nicht aus Schaumstoff!!! Was soll’ s, immer feste druff. Nee, nee, das mit dem Seidentop macht doch nichts. Sowas wollte ich schon immer haben. Als ich das Oberteil vorgestern extra passend zum Rock für diese Feier gekauft habe, dachte ich noch so bei mir: „Schade, mit ein paar großen Fettflecken und Sauerkirschstücken drauf würde es noch hübscher aussehen.“ Aber ja doch, patsch ruhig auch noch rein und verschmier mir die Pampe auf dem halben Oberkörper.
Die lässt es nicht mal sein, wenn sie gerade was auf dem Arm hat – zum Beispiel ihren Hund. „Oaah, Leilah-Mäuschen, lass dich erst mal ganz lieb drücken!“ Das arme Tier heult herzzerreißend auf und Leilah–Mäuschen fischt anschließend fünf Minuten lang Hundehaare aus ihrem Mund. Aber egal, Hauptsache schön geschmust.

Dabei will ich mit der Frau gar nicht schmusen. Sie wiegt 130 Kilo, ihr Lieblingskleidungsstück, der geblümte Perlonkittel, riecht immer ziemlich streng, und ich habe sie auch nicht wirklich dolle lieb. Irgendwie bin ich sogar richtig froh, wenn der arme Hund dazwischen ist.
Umarmen könnte ich sie sowieso nicht, selbst wenn ich wollte, denn ich käme nicht mit den Armen rum. Und die hat einen Griff, Leute, da würde mancher Sumo - Ringer blass vor Neid.
Das ist nach meiner Erfahrung übrigens immer so bei den Knuddel–Damen. Wenn die zupacken, kriegt man gar keinen Atem mehr zum Schreien. Dafür saugt die zusammengequetschte Lunge hinterher hörbar pfeifend neue Luft an: „Leilah-Mäuschen, hast du etwa wieder dein böses, böses Asthma?“
Und die sind auch nicht wählerisch beim Drücken. Hauptsache was im Arm: Schwiegertöchter, Nichten, Neffen, Söhne, Töchter, Nachbarn, Freundinnen, Haustiere, Teddybären, Briefträger…. kommt, stellt Euch ruhig auch noch hinten an. Die schlabbern einfach jeden voller Inbrunst ab…. außer vielleicht ihren eigenen Ehegatten, den schon lange nicht mehr.

Mein Mann versucht seit seiner Jugend, sich den brachialen Schmuseattacken dieser Frau zu entziehen - vergebens. Einmal hat er es fast drei Wochen lang geschafft. Dann hat sie ihn mitten im Supermarkt erwischt und kurzerhand mit den Worten „Du drückst mich ja gar nicht mehr. Hast du die Tante denn überhaupt nicht mehr lieb?“ gepackt und ganz schrecklich geknuddelt. Ich sah meinen großen, stattlichen Kerl nur noch mit weit aufgerissenen Augen hilflos mit den Armen wedeln. Als seine Füße wieder den Boden berührten, schaute sein frisch gebügeltes Hemd aus als hätte er drei Nächte lang darin gepennt und sie war wieder glücklich: „Siehst du, Schätzelein, du magst die Tante ja doch noch!“
Womit wir dann bei der Frage angelangt wären, warum diese Damen so gern von sich in der dritten Person sprechen. Aber davon ein Andermal mehr.

Bis dahin fühlt Euch alle mal so richtig feste von der Leilah geknuddelt. ;-)


(C) Leilah Lilienruh


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Upps - verlaufen! - Das Malheur mit der Tür

Die im Einwohnermeldeamt bei uns in der Stadtverwaltung haben jetzt an ihrem Kleiderschrank, in den die Mitarbeiter ihre Mäntel und Jacken hängen, ein Schild angebracht: „Kleiderschrank!“. Und ich glaube, das haben die wegen mir gemacht.
Also, nicht dass ich vor hätte, meine Jacke da reinzuhängen, wenn ich mal dort bin. Nö, so oft gehe ich ja nun auch wieder nicht zum Einwohnermeldeamt. Und großartig gemütlich machen möchte man es sich auf dem Amt ja auch nicht.
Ich denke, das hat eher mit meiner Schusseligkeit zu tun. Ihr könnt Euch ja vielleicht noch an meine Ausführungen zum Thema „Versehentliches obszönes Anquatschen wildfremder Herren beim Lebensmitteleinkauf“ oder „Unabsichtliches Händchenhalten im Kneipengetümmel“ erinnern. Tja, und wenn ich nicht gerade auf derart peinliche Art Kontakte knüpfe, passieren mir halt solche Sachen wie neulich auf der Gemeinde.

Andere Leute gehen einfach nur ins Amtszimmer, holen ihren neuen Personalausweis ab und gehen wieder hinaus – ich eigentlich auch, das heißt, ich wollte eigentlich auch… wären da nicht so viele Türen gewesen.
Reingehen war kein Problem: Eine Tür, Schild drauf: „Einwohnermeldeamt“. Die Rauswoller dagegen kriegen eine Falle gestellt: Zwei genau gleiche braune Holztüren, nebeneinander.
Es war ein bisschen so wie beim Laborversuch mit dem Pawlowschen Hund, nur dass mit mir vorher keiner geübt hatte.
Ich schnappte mir also den neuen Perso, rief noch fröhlich „Tschüüüüss!“ und verschwand… im Schrank – klapp! Hinter mir vernahm ich noch kurz: „Haaalt, das ist der Schra…!“

Nicht, dass ich jetzt besonders verklemmt wäre oder so, aber das war doch irgendwie hochnotpeinlich. Was tun? Ich stand also eingeklemmt zwischen einem Wollmantel und einer Steppjacke im dunklen Verließ und dachte angestrengt darüber nach, ob es mehr nach Schweiß oder nach Deo im Schrank roch und welcher Abgang von all den möglichen peinlichen Varianten derjenige sei, für den ich mich am wenigsten schämen müsste. 

„Okay“, dachte ich mir nach etwa einer Minute: „Vorwärtsverteidigung!“
Entschlossen riss ich also die Tür wieder auf, sprang heraus und verkündete: „Einen wunderbar geräumigen Schrank haben Sie hier aber im Büro! Da können Sie sich glücklich schätzen!“
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es mir gelungen ist, die Bürotür von außen zu schließen bevor dunkle Schamesröte in mein Gesicht schoss. Und Ihr glaubt nicht, wie schnell ich am Auto war!!!



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Samstag, 8. August 2015

Eimer sind Schweine oder Vom Versuch, ein Ding aus Plastik zu kaufen

Es gibt Dinge, die zum Schein so tun als ob sie total einfach wären und in Wirklichkeit saumäßig schwierig sind. Die tun das nur, damit wir jedes Mal wieder drauf reinfallen und uns im Supermarkt lächerlich machen… also, eigentlich nicht „wir“, sondern mehr so ich allein und nicht nur im Supermarkt, sondern auch im Bürgermeisteramt, im Restaurant, auf der… aber das gehört jetzt nicht hier her. Das Ganze ist doppelt gemein, weil ich mich in letzter Zeit echt angestrengt habe, keine hochgezogenen Augenbrauen und Lachsalven mehr bei meinen Mitmenschen auszulösen!

Gestern zum Beispiel war ich in diesem Laden und wollte doch einfach nur einen Putzeimer kaufen. Ja, echt, das habe ich mir zugetraut. Klang irgendwie einfach. Eimer nehmen, in Wagen legen, zahlen, raus. Dachte ich. Bin ja naiv. 

Konnte ja nicht wissen, dass die Drecksbande dermaßen zusammenhält – nein, nicht die Verkäufer, sondern die Eimer... 


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(C)Leilah Lilienruh

Mittwoch, 5. August 2015

Mystery-Thriller "In glasgrüner Stille" - Leseprobe


...Am Grunde meines Sees liegt eine Geschichte, die niemals erzählt werden sollte. Wir alle hatten gehofft, dass die Wahrheit irgendwann für immer unter einer dicken Schicht aus Schweigen und Sediment verschwinden würde. Unser Gewissen konnten wir nie zum Schweigen bringen. Wie sollten wir auch, wo wir dem abgrundtiefen Selbsthass doch immer wieder neues Futter gaben. Es hat all die Jahre über gnadenlos an uns genagt und tiefe Löcher hinterlassen, wo Selbstachtung ihren Platz haben sollte.
Es scheint, als ob der Rand dieser Gruben bröckelt und wir in unsere eigenen Abgründe hineinstürzen. Unterdessen sind wir fleißig unserer Arbeit nachgegangen, haben neue Häuser gebaut, Hochzeiten gefeiert, Alte beerdigt und Kinder aufgezogen. Immer war sie präsent und hat wie eine dunkle Wolke über der Bucht geschwebt - unsere unverzeihliche Schuld. Insgeheim haben wir uns vermutlich gewünscht, einer von uns würde es irgendwann nicht mehr ertragen und es laut hinausschreien. Nur wollte keiner derjenige sein - auch ich nicht.
Ich wünschte, ich könnte die letzten Wochen aus meinem Gedächtnis löschen und in mein belangloses Leben zurücksinken. Ich würde weiter Tische decken und Betten beziehen, zwei Mal im Jahr fort in Urlaub fliehen, den Ort verfluchen und immer wieder heimkehren, denn hier gehöre ich ja her.
Nun aber schaue ich zum letzten Mal zurück zum See. Ich habe Bargelow auf der einzigen Straße verlassen. Keiner hat mir nachgewinkt oder insgeheim gedacht: »Sie kommt nicht wieder.«, denn was ich jetzt tue, ist das Resultat der einsamen Entscheidung einer einzigen Nacht, wenn es auch viele Jahre gedauert hat, bis ich endlich bereit war, sie zu treffen.
Hinter mir im Kofferraum liegen zwei Taschen, die nicht viel mehr enthalten als ein paar Kleider und Papiere. Alle Erinnerungsstücke lasse ich hier. Die Bilder in meinem Kopf muss ich mitnehmen, egal wohin ich gehen werde. Nichts auf der Welt kann sie jemals wieder verschwinden lassen oder meine Schuld verringern. Sie minimiert sich nicht, indem man sie durch die Anzahl der Köpfe oder Ausreden teilt.

Die Straße führt noch ein Stück um den See herum bevor sie abzweigt und im Wald verschwindet. Ich habe mitten auf der Fahrbahn angehalten und ziehe den feucht-kalten Morgenduft unseres Tales durch das heruntergekurbelte Seitenfenster tief in meine Lungen. Langsam gleitet mein Blick über den vertrauten Hort meines bisherigen Lebens, nimmt Abschied von jedem Haus und Baum, an Land und im Spiegelbild des Sees. Mein Schicksal ist es, einen Bann zu brechen. Wenn unsere Geschichte erzählt ist, wird es kein Zurück mehr geben. Das neue Bargelow wird, zerschlagen und gesprengt von bitterwahren Worten, in einer Woge des Abscheus versinken, so, wie der alte Ort einst in Wasser und Schlamm. Es ist der Moment, nach dem wir uns im Grunde unserer Herzen alle so lange gesehnt haben: der Augenblick unserer Erlösung und Strafe...

*

Inspiration
Wider jede Vernunft rannte ich stolpernd über den unbeleuchteten, geschotterten Parkplatz zu meinem Wagen und raste zum Gasthaus zurück, war einfach nicht bereit, zu akzeptieren, was ich doch längst wusste. Atemlos stürzte ich die Stufen zu den Gästezimmern hinauf. In meinem Kopf schrie es unentwegt: »Bitte, bitte, bitte…!«
Mit rasendem Herz drückte ich die Türklinke hinunter, schob einen Spalt auf und lauschte. Es war still. Die Deckenlampe in Andersons Raum brannte. Zitternd setzte ich auf dem fusseligen, alten Teppichboden einen Fuß vor den anderen. Die Badezimmertür stand weit offen. Hier drin brannte kein Licht. Aus irgendeinem Grund ergriff mich dennoch ein Gefühl panischer Angst, mich diesem Raum zu nähern. Ich konnte den Puls in meinen Ohren dröhnen hören. Gegen einen inneren Widerstand musste ich mich zwingen, die letzten beiden Meter bis zum Bad zurück zu legen.

Der einfallende Schimmer der Schlafzimmerlampe genügte, um die grauenhafte Szenerie auszuleuchten und mich erstarren zu lassen...

...Vorsichtig lugte ich um die Ecke ins Badezimmer, wo nun die kleine, altmodische Deckenfunsel aus Kristallglas das morbide Stillleben in ihr Facettenlicht tauchte. Meine Mutter hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Ihr erstarrter, ausgemergelter Körper gehörte ins Gruppenbild des Todes. Nur ihre rechte Hand bewegte sich in immer gleicher Weise. Sie streichelte unentwegt über die kleine Hand Benjamins. Dabei starrte sie ins Leere. Zwei Tränenströme liefen glänzend über ihr Gesicht, sammelten sich am Kinn und fielen dann und wann in dicken Tropfen auf den alten Bademantel, den sie über ihrem Nachthemd trug.
»Hast du das getan, du bösartiger, eiskalter Mensch?«, flüsterte ich heiser. Sie hob das Kinn als würde sie aus einem tausendjährigen Schlaf erwachen und sah mich einen Augenblick lang ungläubig an. Ein tiefer Schmerz lag in diesem Blick. Dann schüttelte sie leicht den Kopf und antwortete so leise, dass ich es kaum verstehen konnte: »Nein, mein Kind. Ich habe das nicht getan.«...



Recherche am Stausee für den Mystery-Thriller

...In der ersten Reihe des Seitenschiffes, nicht weit von ihm entfernt, regte sich etwas. Eckhard wendete sich rasch dort hin und schaute direkt in Hinrich Nanssens dunkle Augen. Er hatte den Kopf eigenartig zur Seite gelegt und grinste ihn nun an. In dem Moment, in dem sich ihre Blicke trafen, löste sich Eckhards eigenes Schmunzeln schlagartig auf. Erstaunt wanderten seine Mundwinkel nach unten und plötzlich durchzuckte ihn eine unheilvolle Vorahnung, die er durch fast unmerkliches Kopfschütteln von sich abzustreifen versuchte. Nanssens Gesicht war zwar wie zu einer Art eigentümlichem Lächeln verzogen, aber es war nichts Sanftmütiges, Freundliches in seiner Mimik. Es war die grinsende, zähnefletschende Grimasse eines wilden Tieres, bevor es die messerscharfen Zähne tief in den Hals des Opfers haut und ihm die Schlagader herausreißt. Die Augäpfel des Mannes sprangen dabei blitzschnell von einer Seite zur anderen. Etwas unberechenbar Wirres, Unaufhaltsames lag in diesem Blick. Eckhard machte reflexartig einen Schritt zurück und presste die Heilige Schrift wie ein Schutzschild vor den Bauch... ..



Erhältlich beim Wortquelle Verlag als Softcover und eBook

Dienstag, 4. August 2015

Oktober (Gedicht)

Gedicht Lilienruh Abschied
Fuhr der letzte Zug nie ein...

Hätten wir uns festgehalten,
als der Wind von Norden kam
und mit seinem scharfen, kalten
Atem den Oktober nahm,
uns mit Mut und Lust umfangen
gegen jeglichen Verstand,
uns voll Wehmut und Verlangen
fallen lassen Hand in Hand…

Lyrisch-melodisches Hörbuch "Du... in meinen Augen",
Wortquelle Verlag

Sonntag, 2. August 2015

Das große Fressen

Ich möchte Euch heute gern die Geschichte von meinem Brechreiz erzählen. „Ja lecker!“, werdet Ihr jetzt vielleicht denken: „Was interessiert mich der Brechreiz anderer Leute?! Ich finde mein ganzes Leben zum Kotzen!“ Das mag ja sein, aber lest doch einfach erst einmal weiter. Vielleicht könnt Ihr dann ja schmunzeln und sei es nur aus Schadenfreude.
Ist mal wieder eine wahre Geschichte, wie Ihr Euch schon denken könnt, denn wer liefert mir immer wieder die skurrilsten Satiren: das Leben.
Genau genommen WOLLTE ich die Geschichte auch nie wirklich erzählen, sondern ich MUSSTE einfach, weil sie mir sonst die ganze Zeit vor meinem Inneren Auge erschienen wäre und eben dieses Würgen im Hals verursacht hätte. Sobald die Bilder aber im Autorenhirn zu Worten verarbeitet und aufs Papier gebannt sind, können sie nicht mehr im Kopf herumgeistern und die Autoren-Übelkeit lässt nach, um den Leser zu befallen. 


Also, die Sache war folgendermaßen: Eines Tages vor mehreren Jahren saßen wir, meine Familie und ich, recht gemütlich zu Hause beisammen und überlegten, welches hübsche Städtchen im Umkreis von etwa 100 Kilometern wir noch nicht kennen würden. Keine leichte Überlegung, da wir sehr gern schöne Orte besichtigten und bereits viele gesehen hatten.
Irgendwann ließ einer unserer Teenager augenzwinkernd und mit einem breiten Grinsen im Gesicht den Namen „Rotenburg an der Fulda“ fallen. „Ja, was gibt es denn da zu grinsen?!“, werden sich jetzt viele fragen. Die Hessen unter den Lesern wissen bescheid: Da kommt der so genannte „Kannibale von Rotenburg“ her, vor einigen Jahren zu trauriger Berühmtheit gelangt.
Wer nun aber voreilig die Gedankenbrücke von meinem oben erwähnten Brechreiz zum Kannibalen schlägt, ist auf dem Holzweg. Man mag es nicht glauben, aber es gibt durchaus Erlebnisse alltäglicher Art, die zumindest vom Ekelfaktor her nahe an solche Abartigkeiten heranreichen.
Um die Geschichte abzukürzen: Wir beschlossen also, das nette Städtchen im Norden Hessens zu besuchen und setzten das Vorhaben gleich am folgenden Wochenende in die Tat um. Das Gute vorweg: Rotenburg ist wirklich zauberhaft. Es besitzt eine sehr sehenswerte Altstadt, idyllische Parks, kulturelle Sehenswürdigkeiten und natürlich einen romantischen Blick auf die Fulda.
Und Rotenburg besitzt auch ein paar gute Restaurants. „Auch okay!“, denkt man jetzt. Klar ist das okay, sogar mehr als nur „okay“, wenn man nach einer längeren Besichtigungstour Kohldampf und Blasen an den Füßen hat. Das einzige Problem waren die Gäste oder besser gesagt der Gast. Neeeein, nicht der Kannibale! Ach Leute, der sitzt doch im Gefängnis und beißt keinen mehr.

Damit Eure sensationslüsterne Fantasie nicht weiter mit Euch durchgeht: Ich werde Euch jetzt die Geschichte von der unglaublich großen Pizza und dem unglaublich hungrigen, dicken Mann erzählen.
Wir Fünf waren zuerst im Restaurant – er war zuerst fertig. Kein Problem, wenn man nur ein Süppchen oder einen winzigen Beilagensalat verzehrt, ein bizarres Stück Ess(un)kultur, wenn es sich um eine Portion jener Ausmaße handelt.
Als der betreffende Herr mit seiner zierlichen Frau das Lokal betrat und direkt an unserem Nachbartisch Platz nahm, hatten wir alle noch heimlich Mitleid mit ihm, denn das Bewegen fiel ihm sichtlich schwer und es schien nicht leicht für ihn zu sein, halbwegs bequem an den Tisch heranzurücken. Dann allerdings gab er lautstark seine Bestellung auf, die mit den Worten: „Ihre größte Pizza ist viel zu mickrig. Ich nehme das Blech…!“, begann. Unsere Köpfe flogen herum.  Der meinte das ernst!
Während wir unsere Nudelportionen und Salate etwa bis zur Hälfte aßen, wurden die Speisen für den Nachbartisch bereitet und schließlich herangeschleppt: eine normale Pizza für die Dame, ein Blech voll Pizza auf ein Holzbrett umgepackt für den Herrn, dazu eine kleine Cola-Light für die Dame und eine Halbliter-Vase richtige Cola für den Herrn.
Wirkte noch lustig das Ganze, vor allem wie der kleine Tisch so ächzte unter dem Ballast. Das Blumenväschen samt Inhalt sowie Kerze und Speisekarte wurden vom Kellner aus Platzgründen auf andere Tische ausquartiert. Jaaa, bis dahin sah’ s noch lustig aus…
Aber dann hat er angefangen zu… zu… ähm… ja, wie sagt man jetzt dazu?… essen?... mampfen?... stopfen?... völlen?...

Mein jüngster Sohn liebt Pizza. Nun saß er da mit offenem Mund, den aktuellen Bissen noch ungekaut auf der Zunge, und starrte mit aufgerissenen Augen hinüber. Man starrt andere Leute nicht an. Nachdem ich selbst ausgiebig gestarrt hatte, ist mir das wieder eingefallen und ich habe erst mal dem Kleinen unterm Tisch auf den Fuß getreten. Der stieß daraufhin hervor: „Moma, hascht du dasch geschähen?!“ Mein Sohn hatte zum Glück keinen Sprachfehler, sondern nur schlechte Manieren und einen vollen Mund. Und obwohl der Herr am Nachbartisch das vermutlich nicht so gut wie ich übersetzen konnte, da er meinen Sohn nicht mit vollem Mund redend kannte, trat ich ihm gleich noch mal auf den Fuß - meinem Sohn, nicht dem Herrn.

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(C) Leilah Lilienruh

Samstag, 1. August 2015

Ein intimes Gespräch

"Warum", frage ich mich manchmal, "warum passieren solche Sachen ausgerechnet immer mir?!" Und warum sehen eigentlich alle schwarzen Motorradjacken aus den Augenwinkeln gleich aus?

Eigentlich fängt alles meistens ganz harmlos an. So auch neulich: Gähnende Leere im Kühlschrank. Ich also mit meinem Schatz los in den Supermarkt. Butter, Käse, Marmelade… da fehlt doch noch was… ahhh, eine passende Unterlage, sonst muss man das Zeug ja direkt von der Handfläche lecken. 
Wir rüber in die Abteilung mit den Backwaren, und während ich so guckend vor den leckeren Fabrik-Broten, überaus gesunden Weißmehl-Brötchen und Kuchen mit feinstem künstlichem Aroma stehe, fällt mir ein, dass ich am folgenden Morgen gern mal wieder Croissants essen würde. NATÜRLICH frische Croissants, aber dann müsste ja einer von uns vorher Bett und Haus verlassen und zum Bäcker latschen. Vielleicht würde es dann gerade regnen oder stürmen. Womöglich fielen sogar faustgroße Hagelkörner. Und die Chance dafür, dass es sich bei dem bedauernswerten Geschöpf in den gnadenlosen Fängen der Natur um meine Person handeln könnte, steht immerhin bei 50 Prozent (selbst mit meinem lieblichsten Augenaufschlag, der früh morgens und ungeschminkt leider nur halb so eindrucksvoll rüberkommt).
Lecker, Küchenschwamm!
Also die zum Aufbacken. Schmecken nicht wie echte Croissants, sehen nicht aus wie echte Croissants und sind in der Konsistenz einem Küchenschwamm nicht unähnlich, haben nur mehr Kalorien. Nun gut, wenn die äußeren Umstände entsprechend sind, beißt man hin und wieder auch mal in einen Küchenschwamm...

Freitag, 31. Juli 2015

Der Abmurkser

Doch, doch, ich bin schon tolerant, meistens, irgendwie… manchmal, in einigen Dingen, von Zeit zu Zeit..., aber...


Der, der neben mir wohnt, ist anders als ich. Also, genau genommen meine ich nicht den, der direkt neben mir wohnt, sondern den, der fast neben mir wohnt und nicht wissen soll, dass ich ihn meine. Und ich meine auch nicht „ein bisschen anders als ich“, so wie der Mann an meiner Seite anders ist als ich. Ich meine: Der, der fast neben mir wohnt, ist völlig anders.

Das wäre normalerweise total egal, auch mir, gerade mir, denn ich bin ja furchtbar tolerant. Würde schon fast sagen: politisch so korrekt, dass ich mich manchmal mit mir selbst langweile. Ich gebe mir jedenfalls auch irrsinnig viel Mühe, es mir egal sein zu lassen – aber wenn er doch so völlig anders ist... Ihr versteht mich doch?!

Der Mann ist so, dass er mich damit von meiner Arbeit ablenkt und das ärgert mich besonders deshalb, weil ich ja mit meiner Arbeit Brötchen verdienen muss und auch gern Brötchen esse. Manchmal, vor allem im Frühling und Sommer, sitze ich an meinem Schreibtisch und will etwas erledigen, aber es geht einfach nicht, weil ich ständig aus dem Fenster zu ihm hinüber starren muss. Kaum habe ich es geschafft, mich für zwei Minuten auf einen Text zu konzentrieren, da kleben meine Augen schon wieder an ihm fest.
Ich stehe also auf, ziehe die Vorhänge zu …und sehe ihn weiter vor mir, vor meinem Inneren Auge. „Das, was er da tut, kann er doch unmöglich wirklich machen!“, geht mir immer und immer wieder durch den Kopf bis ich aufstehe, die Vorhänge wieder zurückziehe und mich vergewissere, dass er es schon wieder tut.
Der, der fast neben mir wohnt, kniet dann mit einem Spezialwerkzeug auf seiner riesengroßen Englischen Rasenfläche und murkst einen einzelnen Löwenzahn ab. Dabei guckt er ganz wütend, beinah ein wenig irre, und strengt sich so an, dass er schwitzt. Gleich wird er ihn erwischt haben und triumphierend in die Luft halten, damit die, die fast neben mir wohnt, seine Frau, es auch sieht. Da! – Ich sag’ s doch. Wedel, wedel, der elende Unkräuterich ist erlegt. Das wusste ich, weil er das immer so macht, also sagen wir mal so einmal pro Woche.
Und daher weiß ich auch, dass er nun die Flasche mit dem Totenkopf öffnen und eine gehörige Portion auf den betreffenden „Schandfleck“ im Rasen kippen wird. Gluck, gluck…fertig. Er putzt sich die Hände an der Arbeitshose ab, schaut noch einmal kritisch zu Boden und entfernt sich zufrieden mit dem bösartigen Kraut in Richtung Biotonne.
Also ehrlich: Der, der fast neben mir wohnt, ist mir irgendwie unheimlich.


(C) Leilah Lilienruh



Freue mich auch sehr über Besuche auf meiner FB-Seite

Donnerstag, 30. Juli 2015

"Was begraben ist" - Gedichtvertonung

Es handelt sich um ein lyrisch-melodisches Werk zum Thema "Missbrauch".

Was begraben ist


Text, Sprecherin und musikalische Fragmente: Leilah Lilienruh
Studio: Wortquelle Verlag


Der Kontext:

Eine Feuilleton-Redakteurin äußerte in ihrem Artikel, der nach einer meiner Lesungen erschien, einmal sinngemäß folgendes: Lilienruh schreibt in ihrem aktuellen Roman darüber, "weil sie will, dass es endlich jemand ausspricht". 

Stimmt so weit. Das will ich! Sie bezog sich dabei allerdings auf ein Streitgespräch, das ich im Rahmen der Diskussion im Anschluss an die Lesung mit einem Gast hatte, der meinte, mein Thriller "In glasgrüner Stille", in dem es u. a. um Missbrauch im kirchlichen Bereich geht, sei ja "extrem spannend und auch stilistisch klasse geschrieben", AABERRR man solle doch in belletristischen Werken gefälligst gewissen schmutzigen, schmerzhaften, realen Wahrheiten nicht zu nahe kommen, sondern sich doch lieber auf leichte, rein fiktive Unterhaltung beschränken. 

Und genau genommen hatte ich ihm auch nicht so vornehm und artig geantwortet, wie ich anschließend zitiert wurde, sondern ihm ziemlich wütend von der Bühne runter zugerufen, dass ich MEINE Charaktere in MEINEN Büchern sagen lassen kann, was immer ich will und dass ich im Traum nicht dran denken würde, denen auch noch das Maul zu verbieten. Selbstverständlich ist es unprofessionell und ziemlich unhöflich, sich während einer Veranstaltung mit einem Gast anzulegen und die Emotionen nicht unter Kontrolle zu haben. 
Aber ich stehe zu meiner Kernaussage. Wenn wir es nicht tun, diejenigen, deren Metier das geschriebene Wort ist, wer sonst soll dann das Unaussprechliche aussprechen, die Totenstille der bürgerlichen Verlogenheit mit Wahrheit füllen, Sprachrohr für die sein, die am Schweigen über diese "Sache" ersticken...?!

Daher nehme ich mir die Freiheit, es gleich hier und jetzt wieder einmal zu tun, auf die Gefahr hin, dass manch einer vielleicht auf dieser Seite nur liebliche Worte und locker-flockige Geschichtchen von mir erwartet und sich im Schlaf der Gerechten gestört fühlt:
Diesmal zum Thema „Gegen Verjährung von Kindesmissbrauch“, weil mir das wirklich sehr am Herzen liegt. Selbstverständlich gehöre ich nicht zu denen, die in das undifferenzierte Stammtischgeschwafel jener scheinheiligen Saubermänner einstimmen, die sich die ohnehin eher schwachen Lichter ausgeschossen haben und kehlig, weißbierselig „Todesstrafe“ oder „Schwanz ab“ brüllen. Dachte immer, das sei eh klar.
Wer mich persönlich oder meine literarischen Arbeiten gut kennt, weiß um meine Intention, meinen endlosen, zermürbenden Kampf (in der Sache und zeitweise auch ums Überleben) und um die Gründe dafür.

Betroffene solcher Gewalt, und über nichts anderes als Gewalt sprechen wir hier, ganz gleich ob die Täter schmierig oder brutal vorgegangen sind, nennt man heutzutage meistens nicht mehr Opfer, sondern Überlebende. Psychologischer Kunstgriff, der allerdings an den Fakten nichts ändert, denn überleben ist nicht gleichbedeutend mit leben. Mancher entsetzliche Schmerz endet niemals, auch wenn der Körper geheilt und viel Zeit vergangen ist.

Ich weiß, leider, sehr genau worüber ich hier rede. Und ich sah in den letzten 22 Jahren viele andere Frauen in Kliniken vegetieren und sterben… Arme und Beine aus Verzweiflung zerschnitten und vernarbt, die Hände vom Waschzwang zerschunden, riesige, traurige Augen in hoffnungslosen, ausgemergelten Gesichtern, bis auf die Knochen abgehungerte Körper, unvorstellbare Depressionen, Angststörungen, Zwangsvorstellungen… und auch Männer, junge, große, athletische Männer von meistens Mitte, Ende 20, die im Speisesaal der psychosomatischen Abteilung mit Schreikrämpfen und Panikattacken zusammenbrachen oder die zitternd und weinend mit Angstzuständen auf dem Boden im Klinikflur kauerten. 

Lauter wunderbare, herzensgute, völlig schuldlose Menschen - eigentlich die besten, klügsten und echtesten, die ich je traf -, deren Gemeinsamkeit und einziger „Fehler“ es war, irgendwann als Kind von einem Täter ausgesucht worden zu sein... meistens vom eigenen Erzeuger.
Nicht zu vergessen diejenigen, die zwar (noch) nicht in einer Klinik gelandet sind, aber kaum wissen, wie sie draußen ein halbwegs erträgliches Dasein mit all ihren Symptomen führen sollen. Den Albtraum der sexuellen Misshandlung(en) haben sie rein physisch überlebt, aber was sie danach erwartet, sind Traumata ohne Ende durch quälende Erkrankungen und Reaktionen der Umwelt, die von Unverständnis, dummen Ratschlägen und Genervtheit über Bezichtigungen der Lüge resp. der Geisteskrankheit bis hin zu Schuldzuweisungen reichen. Die allermeisten Täter vergnügen sich unterdessen feist, unbehelligt und ohne jegliches Schuldbewusstsein für den Rest ihres Lebens, da sie entweder nie belangt werden oder sich herauswinden können. Das ist eben keine Tat, die man als Betroffener mal eben so locker bei der nächsten Polizeiwache melden würde und für die es aussagewillige Zeugen gäbe.

Mir selbst wurden die Kindheit und als Folge auch sieben komplette, weitere Jahre meines Lebens als Erwachsene genommen. Dass ich heute nicht zu denen gehöre, die ihr Leben stationär fristen oder in einer Holzkiste unter der Erde verrotten, habe ich einem extrem starken Willen, meiner körperlichen Zähigkeit und ein paar wundervollen Menschen zu verdanken. Und ich hab’ mal versprochen, dass ich die Anderen, diejenigen, die an den Folgen ihrer Traumata verrecken, nicht dem Vergessen überlasse.

Die gesellschaftliche Debatte über das Thema hat viel zu spät begonnen und darf jetzt nicht von besagten Stammtischschwätzern übertönt werden.
Für „Überlebende“ ist es unter psychologischen Gesichtspunkten oft ganz, ganz wichtig, dass die Verbrecher bestraft werden. Es gibt ihnen nicht die Gesundheit, aber die Würde zurück, die sie selbst verloren wähnen. Bedingt durch Verdrängungsprozesse beginnt die Erinnerung wie auch die schwere Erkrankung häufig erst im mittleren Erwachsenenalter. Deshalb sind die gesetzlichen Anzeigefristen hier absolut unangebracht und contraindiziert. So etwas darf niemals verjähren!

Mittwoch, 29. Juli 2015

Das dritte Zimmer

Jene kleine, schmuddelige Bar in der Altstadt war so etwas wie das dritte Zimmer meiner schäbigen Studentenbude. Meine Nächte verbrachte ich dort zwischen Hoffnungslosen und hoffnungslosen Idealisten: Kommilitonen der Geisteswissenschaften, Punks, Arbeitslose, zukünftige Taxifahrer und Barmänner, Gelegenheitsrevoluzzer und Lebenskünstler mancherlei Art. Das heruntergekommene Mobiliar, die klebrige Theke, die verbrauchte, qualmsatte Luft und die widerwärtigen, telefonzellengroßen Toilettenräume - ich fühlte mich damals nirgends auf der Welt so zuhause wie in diesem Lokal. Und ich empfand dabei, dass ein Zuhause nicht unbedingt ein Ort ist, an dem man sich wirklich wohlfühlt, sondern eine adäquate Außenhülle für die eigene Innenwelt.

Wie oft standen wir bis zum frühen Morgen dicht gedrängt mit Bierflaschen in den Händen, die jugendlichen Gesichter von all dem wirren Zeug hochrot diskutiert und geblödelt, lachten grundlos zu laut und zu glücklich, stießen uns gegenseitig die Ellbogen in die Seiten und wurden nicht satt oder müde von unserem sinnlosen Geschwafel...

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(C) Leilah Lilienruh

Freut sich natürlich auch über Besucher, Anregungen und "Likes" auf ihrer Künstlerseite bei FB

Dein letzter Törn, Skipper

Lilienruh komponiert Musik für ein Hörbuch
Eine Hörbuch-Komposition entsteht.
Wir haben deine Asche ins Meer gestreut und weiter gelebt. Ein Jahr ist das her. Der November nahm dich mit über die See. Hast du dir deinen letzten Törn so vorgestellt?
Der Wind wie du ihn magst, ein guter Wind zum Absegeln. Er wehte uns die Gischt direkt in unsere Gesichter und mischte so ihr Salz mit unserm Salz der Tränen, um dann dir zu Ehren ablandig zu werden. Nie wieder wird die Luft so schmecken.

„Hört auf zu heulen!“, hättest du gesagt: „Alte Männer müssen eben irgendwann mal draußen bleiben.“ Du hättest nicht geheult. Dein Seesack war gepackt. Das war er immer. Alles ordentlich verstaut: Das Ölzeug, Karten, Taschenmesser… und diesmal auch ein Stückchen Herz von deiner Crew.
Ein Jahr habe ich gebraucht, die Leinen los zu machen, ein Jahr dir zu verzeihen, dass ich an Land zurück gelassen wurde. Und habe es nicht geschafft...


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(C) Leilah Lilienruh

Dienstag, 28. Juli 2015

Echt der "Burner", des mim Huhschde unn Schnubbe!

Wenn Zeitgeistler sich gestresst fühlen, dann sind sie nicht etwa "einfach total mit den Nerven am Ende" wie wir langweiligen Normalos oder fühlen sich "regelrecht krank von dem ganzen Mist", sondern sie kriegen solche neudeutschen Krankheiten wie etwa das "Burnout-Syndrom".

Die haben nämlich nicht nur die chiceren Anzüge und Tussi-Taschis, sondern auch die angesagteren Krankheiten. Der stinknormale Südhesse ohne akademischen Grad und Edeldesigner-Leibchen bekennt in solchen Fällen freimütig, wenn auch nicht ganz so eloquent: “Isch bin joh heit schunn werrer emol escht feddisch!” Vielleicht kommt dann gerade irgendein südhessischer Zeitgeistler vorbei und belehrt ihn streng: “Noa, du bist ned aafach nur feddisch, moin Liewer. Du solltest dir dein Kopp vorsischtshalber emol vom Azzt unnersuche losse, ob du ned aach des naie, lästische “Börnaud-Sündroom” häwwe tust. Ned, dass du alsfott dademit schaffe gehst unn sisch des im Härrn festsetze tut.”...

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(C) Leilah Lilienruh

Montag, 27. Juli 2015

Aber nachts am PC...

Nun schaut euch die Frau Schmidt nur an: 
Zuhause hat sie einen Mann, 
zwei Pudel und drei Kittelschürzen, 
den Halbtagsjob bei Aldi-Nord 
und, um die Sache zu verkürzen, 
zwei Kinder und ’nen alten Ford. 

So mancher denkt bestimmt „oh je“, 
doch die Frau Schmidt hat auch PC. 
Damit kann sie ihr Heim verlassen, 
den Erwin, der am Sessel klebt, 
die Pudel, Kinder, Aldi-Kassen 
und auch die Stadt, in der sie lebt. 

Wenn Nacht den Plattenbau umgibt, 
fühlt sich die Ilse Schmidt geliebt. 
Sie nennt sich um in „Flotte Biene“, 
knipst nackt mit Handy ihren Po 
und sitzt mit starrer Unschuldsmiene 
vorm Bildschirm, schreibt nach irgendwo. 

Der Ehegatte schlurft ins Bett 
und Ilse surft durchs Internet. 
Der Erwin, wenn der Erwin wüsste, 
was seine brave Hausfrau macht 
und welche heimlichen Gelüste 
sie einsam auslebt in der Nacht! 

Die Kinder sind nun endlich still, 
und sie kann die sein, die sie will: 
die Heißbegehrte, Kesse, Wilde, 
mal reicher Vamp und mal naiv, 
der Traum der ganzen Männergilde, 
erst unnahbar, dann primitiv. 

Die Kittelschürze zwickt am Arm, 
doch Ilse ist’ s ums Herz ganz warm, 
wenn ihre Finger hurtig tippen. 
Ein nettes Wort, ein Kompliment…, 
ach käm’ s von Erwins schmalen Lippen, 
doch einer schrieb’ s, den sie nicht kennt! 

Tja, keiner sieht Frau Schmidt was an. 
Zuhause hat sie zwar den Mann, 
die Pudel und die Perlonschürzen 
und klebt an diesem faden Ort, 
doch um den Einheitsbrei zu würzen, 
träumt sich Frau Schmidt per Bildschirm fort. 

(C) Leilah Lilienruh

Viele weitere satirische oder besinnliche Texte auf der Verlagsseite!

Sonntag, 26. Juli 2015

Antitypen in der Kneipe

Die fünf Hauptkategorien männlicher Kneipen-Vermieser hier einmal beschrieben: 

1.Der Unüberhörbare 

 Eigentlich ist es schnurzegal, wo er sich gerade befindet - sei es nun an der Theke, bereits in Waagerechthaltung unter ihr, am Stammtisch des örtlichen Schützen-Kleintier-Feuerwehr-Fußball-Briefmarkensammlervereins, hinter dichten gelben Schwaden im Raucherkabuff oder gar zielend am Pissoir – seine Stimme vernimmt man auch noch in der hintersten Ecke des Lokals mit mindestens 100 Dezibel. Er hockt allerdings meistens direkt an meinem Nachbartisch. Sollten wir, also der geneigte Leser und meine Person, uns also zufällig einmal in der gleichen Kneipe aufhalten: Keine Bange, er schreit schon in mein Ohr. Das ist Schicksal: Ich latsche meistens auch in das einzige Kaugummi auf der Tanzfläche. Was er so schreit? Na, völlig egal. Eben alles. Hauptsache schön laut und kehlig. Ganz gleich, ob er seinem Kumpel von den Rindsrouladen in der Werkskantine berichtet, seinen grenzdebilen Cousin mit dem Handy anruft, der seinerseits ebenfalls so laut brüllt, dass ich jedes Wort von ihm verstehe (wozu brauchen die beiden überhaupt Telefone, ginge doch auch so) oder ob er noch ein Bier will und die Kellnerin sich bereits mit gezücktem Bleistift zu ihm hinunterbeugt – der Kerl brüllt; im letzten Beispiel in ihr Dekolleté, da er Blick- und Schreirichtung nicht voneinander isolieren kann... 

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(C) Leilah Lilienruh

Samstag, 25. Juli 2015

Katzenklo und Fischmenü

Ich mag Katzen. Doch wirklich! Ich behaupte das nicht nur, weil die Abneigung gegen Hauskatzen hierzulande in breiten Kreisen mit der völligen Abwesenheit jeglicher Herzenswärme, seelischer Grausamkeit und latenter Bereitschaft zur Tierquälerei gleichgesetzt wird. Nein, auch wenn es nach dem etwas unglücklich verlaufenem Zusammentreffen mit einem gewissen impertinenten Känguru nicht so wirken sollte: Ich mag die meisten Tiere, die mich noch nicht gebissen, getreten, gekratzt oder rhetorisch ausgetrickst haben - aber Katzen mag ich ganz besonders.

Warum auch nicht?! Sind ja niedlich anzusehen mit ihren samtigen Pfötchen, kleinen Näschen und lustigen Bärtchen. Mal ehrlich, wie außerordentlich ich sie schätze, merkt man doch schon allein daran, dass ich diese ganzen, beliebten wie überflüssigen „Chen“s an ihre körperlichen Merkmale anhänge. Würde ich das wohl tun, wenn ich sie aus tiefster Seele verachten würde?! Okay, ja, durchschaut: ich würde, aber auf meine besondere Beziehung zu Verniedlungsformen gehe ich an anderer Stelle noch einmal intensiver ein.

Trotzdem: Sie sind irgendwie goldig, und nützlich sind sie ja auch noch. Na ja, früher waren sie das jedenfalls, damals als sie sich noch nicht vor Mäusen geekelt haben, weil sie sich nämlich von ihnen ernähren mussten und sich nicht den menschlichen Luxus der Präferenzen und Aversionen bei der Essensauswahl erlauben konnten. Gut, aber das war auch jene Zeit, als manch ein Mitteleuropäer den Inhalt so einer heutigen Katzenfutterdose mit eigenen Zähnen und Klauen gegen jede Katze verteidigt  hätte, um ihn anschließend genüsslich mit seiner Familie als Sonntagsmahl zu vertilgen.
Ich hatte sogar selbst mal eine Katze. Die war richtig klasse: weiß mit schwarzen Flecken. Sah aus wie eine Mini-Kuh. Wenn sie auf dem weißen Flokati gelegen hat, konnte man nur noch die Flecken sehen und hat geglaubt, man müsste den Läufer  mal wieder ordentlich ausklopfen. Ach niedlich, echt. 

So, ich dachte, ich beteure zu Beginn vorsichtshalber in epischer Breite, dass ich nichts gegen Katzen habe. Man muss heutzutage immer darauf achten, Sozialkompetenz, vor allem in Form von Empathiefähigkeit, zu beweisen. Falls Sie in ihren letzten Bewerbungsschreiben vergessen haben sollten, Ihre soziale Intelligenz gebührend in den Vordergrund zu rücken, müssen Sie sich also nicht über ablehnende Reaktionen wundern! Diese Befähigung gehört gleich in die Zeile unter den Harvard-Abschluss, die fertiggestellte Doktorarbeit (nur empfehlenswert, falls Sie selbst daran mitgewirkt haben oder einen verdammt gewitzten Ghostwriter hatten) und die ausgezeichneten chinesischen Sprachkenntnisse.

Ohne Kenntnisse übers Zwischenmenschlich-Psychologische - rein theoretische Kenntnisse reichen hier völlig aus - läuft ja beruflich inzwischen gar nichts mehr, auch als Schriftsteller, gerade als Schriftsteller. Selbst dann, wenn ganz groß Satire an einer Satire steht...

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(Keine Bange, hinter dieser Weiterleitung verbirgt sich nichts Geheimnisvolles oder gar Obszönes, sondern einfach nur die Satire-Seite, die der Wortquelle Verlag für mich eingerichtet hat und wo man bei Interesse noch ganz viele Texte von mir lesen kann.)

 (C) Leilah Lilienruh

Freitag, 24. Juli 2015

Einsprmaßnhmen

Allrortn i vn Sprn di Rde: Bei dn Grchen, bei dr Knderbtreung, ja slbst bei Khlnhydten.
Nchdem ic bruflch in dn ltztn Mnaten so wahnsnng vile Satre-Txte nd Krzgschchten vröffntlcht hae, is mr grde drch dn Kpf ggngen, dss ic jtzt unbdngt auch ml meine Ressourcn einteiln u. ein par Bchstbn einspren mss, damit mr ncht wmöglch irgndwnn die Wrte ausghn. Ds wär’ nmlich mhr als unangnhm fr mch als Schrftstllrin.

Abr kein Prblem:
Sprche vrträgt bknntlich Unvollstndgkeit. Ds Ghrn fllt de Lcken. Mn knn ruhg uch ml ws wglassn. Schlßlich kmmt es ncht auf jden Bchstbn an, sndern af dn Snn ud dn gten Wllen. nd wer mch vrstehn wll, verstht mch schn!
Vllt sllte ic meinn nchstn Thrllr ebnflls so shreibn?! Altrntiv knnte ic di Auflsng des Flls wglssen, um Wrte einzsparn. ;-)

Donnerstag, 23. Juli 2015

Übers Glücklichwerden


"Woher weiß man, dass man sich für das richtige Studium, den richtigen Beruf, den richtigen Lebensentwurf entschieden hat?", wurde ich vor einiger Zeit mal in einem Interview der Uni Kassel gefragt, die ein Büchlein über die Autoren der nordhessischen Literaturszene erstellte: "Wie wird man glücklich?"

Ich brauchte nicht lange über die Antwort nachdenken, und mir war vollkommen bewusst, dass sie furchtbar abgedroschen klingen musste. Trotzdem ist es das Ehrlichste und Sinnvollste, was man jungen Leuten sagen kann. Und daher ist es genau das, was ich auch meinen eigenen Kindern mitgegeben habe: "Folgt einzig und allein eurem Herzen!" Ich bekam ein ungläubiges, beinah mitleidiges Lächeln von meinem Gegenüber im Interview zurück: "Aber das Uni-Ranking und der Arbeitsmarkt und die Erwartungen der Eltern und...".

Genauso dachte ich mit Anfang 20 auch. Ich bedachte und zerdachte alles und jedes, funktionierte, verbog und verleugnete mich... bis die eigenen Träume unter einer dicken Schicht aus Leistungsdruck, Existenzängsten und Gehorsam verschwunden waren und ich am Ende gar nicht mehr wusste, was ich selbst eigentlich mal gewollt hatte bzw. meinem Umfeld glaubte, dass meine Pläne als "jugendlicher Schwachsinn" einzustufen seien. Nun ist es aber so, dass sich die eigentlichen Wünsche so wie alle Impulse im Menschen, die er verdrängt und unterdrückt, unvermeidlich mit enormer Kraft wieder an die Oberfläche emporkämpfen und ihr Recht fordern. Sie rütteln und knabbern mal an der körperlichen Gesundheit, mal an der seelischen, mal an den menschlichen Beziehungen, die man pflegt - aber sie kommen zurück. Immer.

Alles im Menschen strebt nach Glück, nach dem Glücklichsein. Das ist nicht egoistisch oder naiv, sondern gut so, denn dieses Streben - soweit es nicht auf das Unglück anderer Menschen begründet ist - birgt das gewaltige Potential der Veränderung zum Besseren, der Harmonie, der Neuschöpfung und Gerechtigkeit. Warum also erst schmerzhafte, unergiebige Umwege und Warteschleifen absolvieren statt gleich auf das Bauchgefühl zu hören?! Ich wünschte, Eltern würden endlich aufhören zu fragen: "Wie sind hinterher Deine Berufsaussichten und wieviel wirst Du verdienen?" und stattdessen sagen: "Nichts ist unmöglich. Horch mal ganz tief in dich rein und dann tu das, was dich jetzt im Moment am glücklichsten macht, dich, nicht uns. Vielleicht wirst du scheitern, vielleicht ist's nicht für die Ewigkeit. Egal, was kommt, wenn du fällst, fällst du weich. Wir fangen dich schließlich auf und halten zu dir." Genau dafür sind Eltern da. Nicht zum Liebe kassieren, nicht um stolz gemacht zu werden, nicht um mit uns zu prahlen, nicht für ihre Selbstverwirklichung. Wer Kinder in die Welt setzt, weiß das. Wer's nicht weiß, muss es irgendwann begreifen.

Eine Garantie auf beruflichen Erfolg gibt's natürlich nicht, auch nicht, wenn man sich den Weg ganz allein ausgesucht hat - schon gar nicht im künstlerischen Bereich. Vielleicht wird man am Ende Taxifahrer, Barfrau oder Bürogehilfe, obwohl man dem Herzen gefolgt ist. Aber eine Erfahrung, die ich machen durfte, konnte ich den strebsamen Studenten wirklich reinen Gewissens weitergeben: Nur, was man mit Herzblut macht, kann man überhaupt richtig gut machen. In allem Anderen bleibt man bestenfalls Mittelmaß.

Tja, und selbst, wenn man sich tatsächlich für den Wunschberuf entschieden hat, wird man - gerade als Künstler - immer wieder an den Punkt kommen, wo man sich genau wie am Anfang fragen muss: Will ich mich aus finanziellen Gründen wirklich dermaßen verbiegen? Ist das noch das, was ich wollte? Kann ich so viele faule Kompromisse mit mir vereinbaren? Wie lange kann man sich selbst vergewaltigen, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen?... Das Leben schreit immer wieder nach Entscheidungen.

(C) Leilah Lilienruh

Klippensprünge

Mein erster Tag in einer Lokalredaktion, damals mit zwanzig. Lange ist das jetzt her. Es war mein sechster Monat als Volontärin. Zuvor hatte ich in der Technik- und in zwei Mantelredaktionen gearbeitet, wohlbehütet im modernen Verlagsgebäude, fernab vom wahren, dreckigen Redakteursalltag. Ich konnte mit einer Spiegelreflexkamera umgehen, Filme entwickeln, Texte redigieren und wusste, wie man welche Arten von Zeitungstexten schreibt – theoretisch.

Nun aber verließ ich vertrautes, sicheres Territorium und landete nach einstündiger Autofahrt im echten Leben. Ich kannte weder die Stadt noch die fünf gestandenen Kollegen, alles Männer. Ein winziges Dachzimmer über einer Bäckerei unweit der Redaktion sollte meine Bleibe für die nächsten drei Monate sein – ‚unweit der Redaktion’, damit ich jederzeit, auch nachts, einsatzbereit wäre, wie sich bald herausstellte; ‚winzig’, weil die Zeitung gern mal bei ihren Mitarbeitern sparte und man außer zum Schlafen auch kaum in die Verlegenheit kam, sich dort aufzuhalten; ‚über einer Bäckerei’, weil kein vernünftiger Mensch ein Zimmer mieten würde, in dem man ab drei Uhr nachts den Lärm der Leute und Maschinen aus der Backstube hörte und in dem einem unentwegt der Duft frischer Brötchen in die Nase kroch, was etwa zehn Minuten lang wahnsinnig angenehm ist, aber dann in eine Tortur ausartet, da man permanent Appetit und Speichelfluss hat.
Der Empfang an der neuen Arbeitsstätte fiel eher bescheiden aus. Mit La-Ola-Wellen, innigen Umarmungen und Küsschen auf beide Wangen hatte ich zwar nicht direkt gerechnet, aber ein bisschen mehr Euphorie hätte es schon sein dürfen. Stattdessen würdigte mich beim Eintritt in die Redaktionsräume keiner der Kollegen auch nur eines einzigen Blickes. Schon von draußen war hektisches Gerede, Telefonklingeln und Schreibmaschinengeklapper zu hören. Drinnen türmten sich Berge von Zeitungen, Fax-Fahnen, Pressemitteilungen und Fotoabzügen auf den Schreibtischen, so dass die Kollegen dazwischen irgendwie eingebaut wirkten. Vor meinem Inneren Auge inszenierte sich ein Bühnenstück, bei dem die Herren allmählich von all dem ganzen Papierkram assimiliert wurden.
Wie mir schien, verrichtete jeder von ihnen in beinahe roboterhafter Routine mindestens zwei Tätigkeiten gleichzeitig: Alle hackten wie wild auf die abgegriffenen Tastaturen ein, während einige nebenbei noch Telefonhörer zwischen Kopf und Schulter klemmen hatten und Fragen abspulten, andere, ohne den Blick vom Computer abzuwenden, abwechselnd eine Spindeldose zur Entwicklung von Schwarz-Weiß-Filmen in regelmäßigen Abständen schüttelten und einen Kaffeehumpen zum Mund führten. Mir war schleierhaft, wie es ihnen gelang, die beiden Gegenstände und ihre zugehörigen Bewegungsabläufe nicht zwischendurch zu verwechseln. Die beiden Räume waren von so einem lauten Stimmengewirr erfüllt, dass ich mich fragte, wie es möglich sein sollte, dort zu telefonieren, geschweige denn konzentriert zu arbeiten. Ich persönlich konnte mich bereits so schlecht konzentrieren, dass ich mir nicht einmal richtig schön die Schweinerei vorzustellen vermochte, die eine Verwechslung von Tasse und Spindel zur Folge gehabt hätte.
Irgendwann rief doch noch ein Kollege „Hallo?!“, deutete auf den vollsten und schäbigsten Schreibtisch und grinste „Volontärsplatz“. Das wirkte schadenfroh. War es auch, wie er mir irgendwann mal hämisch bestätigte. Sein Gegenüber begrüßte mich mit den aufmunternden Worten: „Frauen sollten nicht Redakteur werden! Ihr Mädels seid nicht hart genug für den Job!“. „Wird sie ja bald selbst begreifen.“, bemerkte der eintretende Redaktionsleiter lakonisch. Schön, wenn man so warmherzig in einer Runde aufgenommen wird. Man fühlt sich gleich viel entspannter und motivierter.
Ich holte tief Luft, setzte selbstverständlich zu einer leidenschaftlichen Gegenrede an – so etwas konnte ich schließlich nicht auf mir und den Frauen dieser Welt sitzen lassen - und… biss mir auf die Zunge. Ich war wie gesagt sehr jung, das einzige weibliche Wesen auf der gesamten Etage und den Launen der Herren Kollegen für mehrere Monate auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Statt mich auf zermürbende Diskussionen einzulassen, folgte ich also dem Beispiel der Herren, was die Ergonomie betraf, und passte meinen Körper in die Gegebenheiten meines zugemüllten Schreibtischs ein. „Fein, man sitzt wie eingemauert in einem Fensterrahmen aus Papier und glotzt tippend hinaus auf die anderen tippenden, schüttelnden, telefonierenden Glotzer!“, dachte ich mir, während ich Kurzmeldungen für den Terminkalender verfassen musste und mich fragte, warum die Putzfrau das nicht als Nebenjob machen durfte.
Eine Stunde später schickte der Chef mich jedenfalls an diesem allerersten Tag zum ersten Mal „raus“: „Polizeianruf gekriegt. Fahrzeugbrand in der Dingenskirchener Straße. Foto Querformat. Sechzig Druckzeilen. Zweispalter im Kasten. Überschrift mit Dachzeile, Bodoni. Was stehen Sie hier noch rum?!“, lautete die knappe Ansage.
Ich begriff erstmal nur die Hälfte, schnappte mir aber brav die alte Kamera und rannte los. Im Flur stoppte ich noch einmal vor der ausgeblichenen Stadtkarte und suchte fieberhaft im Register nach „Din“ wie Dingenskirchener Straße, fand aber nichts.
Mein Auto stand hundert Meter weiter in einer Seitenstraße, weil die Parkplätze so knapp waren. Ich spurtete hin, warf Tasche und Kamera neben mich auf den Beifahrersitz und brauste los. Schließlich war es mein erster Auftrag und gleich ein Fahrzeugbrand und ich „nur ein Mädel“, das beweisen musste, dass es auch was kann. Draußen hatten wir dreißig Grad Celsius, im Auto mindestens fünfundfünfzig. Mir hätte allerdings auch bei Minusgraden der Schweiß auf der Stirn gestanden.
Wo war denn bloß diese verdammte Straße? Ich hielt neben einem Passanten und fragte. „Nie gehört!“, grummelte er mürrisch in einem Dialekt, das ich kaum verstand. Ich bedankte mich überschwänglich. Ein zweiter Passant hatte ebenfalls keinen Schimmer (und schlechte Laune). Der dritte hatte Ahnung, Erkältung und mittelmäßige Laune. Er war uniformierter Polizist und gab mir mitleidig lächelnd Auskunft, nachdem ich ihm hastig meine Notlage erklärt hatte. Leider beherrschte auch er nur diesen eigenwilligen Dialekt, von dem ich etwa jedes dritte Wort einigermaßen kapierte. Dafür fuchtelte er wild mit den Armen in der Luft herum, um mir zu veranschaulichen, an wie vielen Kreuzungen ich wie oft und in welche Himmelsrichtungen abbiegen müsse, um irgendwann ans Ziel, das am anderen Ende der Stadt lag, zu gelangen.

Aus der entsprechenden Straße, in die ich schließlich fuhr, kam mir ein einzelnes Feuerwehrauto entgegen. Mein Puls raste mittlerweile wie verrückt. Wertvolle Minuten verloren. Aufgeregt hielt ich Ausschau nach dem „Flammenden Inferno“, über das ich gewillt war einen ebenso flammenden Artikel zu verfassen. Doch alles, was ich in der tristen Gasse entdecken konnte, war ein uraltes Auto mit geöffneter Motorhaube, aus der ein unscheinbares Rauchfähnlein als blasse, schmale Säule emporstieg. Der übergewichtige Besitzer des Wagens und des dazugehörigen Qualmfähnleins stand in blau-glänzender, kurzer Turnhose und durchgeschwitztem gelbem Schlabber-Shirt daneben.
Irgendwie hatte ich mir das Ganze spektakulärer vorgestellt, ähnlich wie bereits den Empfang durch die Kollegen, aber ich kannte mich ja noch nicht so gut mit Kollegen, mit Lokalberichterstattung und mit dem Leben als solchem aus.
Mir schoss durch den Kopf, dass mein T-Shirt wohl genauso durchgeschwitzt aussehen würde wie seines, nur dass meins keine fette Wampe beherbergte, sprang auf ihn zu und rief schon von weitem: „Sind Sie das mit dem Fahrzeugbrand? Ich komme von der Zeitung und soll einen Bericht schreiben.“ Ich fühlte mich plötzlich unglaublich wichtig und dachte tatsächlich, er würde sich wahnsinnig freuen. Ja, doch, ohne Witz. Das habe ich geglaubt.
Stattdessen aber warf er mir einen Blick zu als wolle er mir gleich an die Gurgel springen und schnauzte los: „Fahrzeugbrand? Der Motor ist mir abgefackelt. Kaum passiert einem mal so ’ne Scheiße, schon steht die Zeitung vor der Tür!“

Oh Mann, der schimpfte und zeterte entsetzlich. Nachdem ich mich ziemlich oft dafür entschuldigt hatte, dass ich ihm die Zeit stehlen würde, dass ich bei der Zeitung sei, dass ich „nicht mal ein richtiger, fertiger Redakteur und dann auch noch ein Mädel“ sei, dass Motoren manchmal zu brennen anfangen, dass es so dermaßen heiß draußen war, dass ihm „die Brühe den Arsch runter“ lief, dass es mich überhaupt gab und dass ich hochdeutsch sprechen konnte, gab er mir schließlich muffelig Auskunft, damit ich wenigstens etwas in meinen Block kritzeln konnte. Er erlaubte mir sogar, Fotos zu machen. Nur vom Auto – das inzwischen gänzlich aufgehört hatte zu qualmen. Aber natürlich ohne Nummernschild. „Und meinen Namen nennen Sie gefälligst nicht im Artikel, Fräuleinchen!“ Sein Gemotze folgte mir noch beim Wegfahren, und wir beide taten mir leid. Ich, weil ich ihn kennengelernt hatte, noch drei Monate in diesem Kaff bleiben musste und wieder zurück zu den überaus freundlichen Kollegen musste; er, weil er der war, der er war, weil er so einen scheiß Klamottengeschmack hatte und wahrscheinlich nie aus dem Kaff rauskommen würde.
Mit einem Affenzahn ging es zurück in die Redaktion. Jetzt durfte keine Sekunde mehr verschwendet werden. Schließlich hatte ich den Bericht des Tages zu schreiben, den Aufmacher, den Brand! Immerhin war ja die Feuerwehr ausgerückt. Und ich auch.
Atemlos berichtete ich dem Chef, was sich ereignet hatte und verkündete: „So, ich lege dann mal los.“ Er nickte, ohne eine Miene zu verziehen. Ich haute meinen Bericht also in Windeseile in die Tasten, während die Anderen zum Mittagessen gingen, entwickelte gleichzeitig die Fotos und sann fieberhaft über eine knackige Überschrift nach.

Fertig! Mit heißen Wangen legte ich die Meldung samt sorgsam ausgewähltem Foto auf seinen Schreibtisch, alles wie verlangt. Ich war bereit, ein anerkennendes Schulterklopfen entgegen zu nehmen. Zur Feier des Tages hätte er mich auch mal ordentlich drücken dürfen, einfach aus der Freude heraus, unerwartet ein riesiges, junges Talent entdeckt zu haben. Erwartungsvoll, aber durchaus bescheiden, strahlte ich ihn also an.
Er nahm das Material und – nein, er las es sich nicht durch. Er schaute es sich nicht einmal an, sondern riss es durch und warf es in den Papierkorb neben seinem Schreibtisch. Ich war geschockt! Ich fürchte, mein Mund stand ziemlich unvorteilhaft offen und ich starrte abwechselt in sein Gesicht und in den Papierkorb.
„Haben Sie wirklich ernsthaft geglaubt“, fragte er dann gedehnt, „ich würde eine dermaßen popelige Sache ins Blatt nehmen?“ Ich verstand ihn immer noch nicht. Er hatte mich doch selbst losgeschickt.
„Das, liebes Mädel, war Ihr Einstand im Redaktionsalltag. Ihr Sprung ins kalte Wasser. Ich habe mir erlaubt, ein wenig nachzuhelfen. Da werden alle Küken erstmal reingeworfen, damit sie schwimmen lernen. ’Fieser, alter Sack’, denken Sie jetzt, aber irgendwann werden Sie begreifen, dass Redakteursarbeit so ist: Jede Menge Stress, selten eine brauchbare Ausbeute. Keiner, der ihnen das Händchen hält und keine Schwimmanleitung.“
Der Mann hatte Recht – damit, dass ich ’fieser, alter Sack’ dachte und auch mit dem Rest. Das war mir spätestens nach zwei Jahren Ausbildung in den verschiedensten Redaktionen klar und wurde in den späteren Jahren als Journalistin immer wieder bestätigt.
Im Verlauf der nächsten zwölf Wochen jedenfalls zeigte sich, dass hämische Bemerkungen über Frauen im Allgemeinen und speziell Frauen im Journalistenberuf hier an der Tagesordnung waren. Die Herren hatten offensichtlich im Laufe vieler gemeinsamer Berufsjahre ein außerordentlich feinsinniges Gespür dafür entwickelt, mit welchen Bemerkungen und in welchen Situationen man weibliche Berufsanfänger am fiesesten piesacken und am nachhaltigsten verunsichern kann. Und manchmal, wenn ich schluchzend im Auto saß und zu einem Termin fuhr, der so beschissen war, dass die Herren ihn eigens für „das Mädel, das unbedingt Redakteurin werden will“ ausgesucht hatten, dann glaubte ich auch schon beinahe, dass ich „nicht hart genug für den Job“ sei. In Wahrheit war ich einfach noch nicht hart genug, so viel Frauenfeindlichkeit zu ertragen – die übrigens nicht an der Redaktionstür endete, sondern von etlichen Männern, mit denen man auf den diversen Terminen zu tun hatte munter fortgesetzt wurde. Das ungläubige „Können Sie denn überhaupt mit einer Kamera umgehen, Fräuleinchen?“ oder ein enttäuschtes „Wir dachten, die schicken uns einen richtigen Redakteur, keine Frau!“, waren da häufig noch die milden Formen. Gut in Erinnerung ist mir auch noch der erstaunte Ausruf eines Trainers im Rahmen eines Marathons, über den ich berichten sollte: „Was wollen Sie denn hier, junge Dame?! Das ist eine Sportveranstaltung!“

Irgendwann war mir klar, dass ich diese Ausbildungsstation seelisch nur einigermaßen unbeschadet überstehen würde, wenn ich sie als mein persönliches Survival-Training ansehen würde, mein Outdoor-Projekt, aus dem ich nicht als komplexbeladenes Häuflein Elend sondern gestärkt hervorgehen wollte. Trotzig wie der kleine Zeichentrick-Drache Grisu, der unbedingt Feuerwehrmann werden will, verkündete ich daher am Schluss: „Und ich werde doch Redakteurin!“ Umgedreht habe ich mich nach den Worten vorsichtshalber nicht noch einmal. Dachte mir: Der psychische Effekt für mich ist besser, wenn ich danach kein hämisches Grinsen sehe. Und ich dachte auch noch, dass es bestimmt besser rüberkommt, also irgendwie härter, nicht wahr, wenn die Typen dabei nicht meine Tränen sehen. Auf jeden Fall war ich noch schneller bei meinem Auto als am ersten Tag - und das ganz ohne "Großbrand".
Mitgenommen aus meiner gesamten Zeitungszeit habe ich einen riesengroßen Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen (ja, es gibt unter ihnen natürlich zum Glück auch eine Menge Nicht-Chauvinisten), die da „draußen“ oft bis tief in die Nacht, an den Wochenenden, bei jedem Wetter und jeder Art von Termin schuften. Und da gab es viele Erlebnisse, die ich nie vergessen werde - berührende, witzige, lehrreiche, gefährliche und absolut grauenhafte, die sich eingebrannt haben, um als Sequenzen in meinen Kurzgeschichten und Romanen wieder aufzutauchen.

Das war mein erster Sprung. Seit damals musste ich mich noch verdammt oft ins kalte Wasser werfen – beruflich wie privat. Ich habe mit der Zeit gelernt, es freiwillig zu tun, mich zu überwinden, ohne dass mir jemand ins Kreuz treten muss. Und schon gar nicht auf die oben beschriebene Weise. Ein altes Leben hinter sich lassen, eine neue, unkonventionelle Liebe wagen, das erste Mal allein auf einer Bühne stehen, die erste Buchveröffentlichung, ein altes Haus kaufen und mit eigenen Händen renovieren, jede Schwangerschaft und Entbindung… alles Sprünge von der höchsten Klippe, von der Stelle, wo einem der Seewind salzig und scharf ins Gesicht peitscht und wo allein der Blick auf die Felsen und das tobende Wasser in der Tiefe einem den Herzschlag beinahe stocken lässt. Würden wir sie nicht wagen, dann müssten wir mit all unseren Sehnsüchten dort oben dicht an der Kante zum Leben verharren und bis zum letzten Atemzug vom freien Fall träumen.

Der erste Sprung ist der schwerste.